Das Begleitprogramm zur Sonderausstellung

Vortrag am 22.September 2020: Vergraben – verwahrt – verborgen: Nachgeburtstöpfe als archäologische Zeugnisse frühzeitlicher Glaubenswelten

Vortrag von Svenja Dalacker, Universität Tübingen

Vergraben – verwahrt – verborgen: Nachgeburtstöpfe als archäologische Zeugnisse

lautete der Titel des Vortrags von Frau Svenja Dalacker M.A. am Dienstag, den 22. September 2020, zu dem die Stadt Maulbronn und der Bürgerverein Schmie im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung „Alltagsmagie – Riten, Schutzzauber und Bauopfer“ eingeladen hatten und der zahlreiche Bürger und Bürgerinnen anzog.

In ihrem interessanten und gut illustrierten Vortrag führte Frau Dalacker aus, dass es sich bei der Nachgeburtsbestattung um einen Brauch handelt, für den es vor der Reformation kaum Belege gibt. Im 16. Jahrhundert nimmt die Verbreitung dieses Brauches zu, bis sie im 17. und 18. Jahrhundert einen Höhepunkt erreicht, um danach wieder weitgehend aus dem Bewusstsein der Bevölkerung zu verschwinden. Erst durch 1943 und 1984 gemachte Funde in Unzhurst bei Bühl (Baden) bzw. in Bönnigheim und Sindelfingen gelangte dieser Brauch wieder in das Bewusstsein zunächst der Fachleute und dann auch der Bevölkerung.

Nachgeburtsbestattungen erfolgten meist in alltäglichen Haushaltswaren wie den damals weitverbreiteten einhenkeligen Töpfen. Rußspuren an der Oberfläche lassen erkennen, dass die verwendeten Gefäße meist bereits im Haushalt genutzt worden waren. Nur in wenigen Fällen, wie zum Beispiel bei Anwesenheit von Initialen, könnte es sich um neuwertige Töpfe gehandelt haben. Dass es sich bei den gefundenen Gefäßen tatsächlich um Nachgeburtstöpfe handelt, konnte durch chemische Analysen, die die Anwesenheit von Östrogen und besonders auch von 17-β-Estradiol nachwiesen, bestätigt werden.

In ihrem Vortrag ging Frau Dalacker besonders auf zwei Ausgrabungen in Entringen und Bodelshausen ein. Hier wurde in den Kellern jeweils eine ganze Reihe von Nachgeburtstöpfen gefunden. In Entringen konnten die Fundstücke drei Phasen zugeordnet werden, wobei die erste auf um 1500 und die letzte auf das 18. Jahrhundert datiert werden konnten. Die Töpfe wurden überwiegend entlang der Wände oder in den Ecken des Kellers senkrecht stehend, liegend, oder auch mit der Öffnung nach unten vergraben. Die Gefäßöffnung war meist mit einem Deckel, Steinen o.ä. abgedeckt, wobei nicht auszuschließen ist, dass die ohne Abdeckung aufgefundenen Gefäße ursprünglich mit Holz, Stoff oder einem anderen vergänglichen Material bedeckt waren.

Frau Dalacker ging auch auf die schriftliche Überlieferungslage ein und erklärte, dass diese, vermutlich themabedingt, sehr spärlich sei. So findet sich der älteste schriftliche Nachweis für die Nachgeburtsbestattung in einem 1517 erschienenen Buch des Predigers Geiler von Keysersberg, der das Vergraben der Nachgeburt unter einer Treppe, also an einem dunklen und verborgenen Ort, empfiehlt. Es folgten dann die evangelischen Hebammenverordnungen aus dem 16. Jahrhundert, die ebenfalls das Vergraben der Nachgeburt empfahlen, wohl auch mit dem Ziel, den Alltag zu „verkirchlichen“ und sich so von Magie und Zauberei zu distanzieren. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass die Verbreitung der Nachgeburtsbestattungen in Baden-Württemberg im Wesentlichen auf protestantische Gebiete begrenzt war.

In der Zeit zwischen Geburt und Taufe bzw. Aussegnung der Wöchnerin wurden Mutter und Kind als durch böse Mächte besonders bedroht angesehen, eventuell bedingt auch durch die hohe Säuglingssterblichkeit. Die Bestattung der Nachgeburt an einem dunklen Ort erfolgte daher möglicherweise mit dem Ziel, diese vor dem Zugriff von Hexen und bösen Wesen, die mit Hilfe der Nachgeburt Schadenszauber auf Mutter und Kind bringen könnten, zu schützen. Andererseits galt die Nachgeburt in den Händen von „Wissenden“ auch als segenskräftig und heilig.

Im Anschluss an ihre Ausführungen zu den Nachgeburtsbestattungen ging Frau Dalacker noch auf die vor allem aus der Schweiz bekannten „Flämmli“ ein, bei denen es sich um tropfenförmige Brandspuren in Häusern handelt. Entsprechende Versuche legen nahe, dass diese Brandspuren mit Absicht angelegt worden sind. Allerdings sind bis heute weder Zweck noch Entstehung bekannt. Über Hinweise hierzu wäre Frau Dalacker dankbar.

Der Vortrag von Frau Dalacker stieß bei den Anwesenden auf großes Interesse, was an den zahlreichen Fragen und einem regen Austausch zu erkennen war.

Weitere Details finden Sie in einer Veröffentlichung von Frau Dalacker in „Denkmalpflege in Baden-Württemberg“, Nachrichtenblatt der Denkmalpflege, Heft 4/2017 (im Internet kostenlos abrufbar unter https://doi.org/10.11588/nbdpfbw.2017.4).